Joachim Fischer
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Die Feldenkraismethode von Moshè Feldenkrais
Der Mensch ist, was seine Körperstruktur anbelangt, ein Tier. Aber er ist das am höchsten entwickelte Tier, und durch die Art und Weise wie sein Nervensystem funktioniert, ein menschliches Wesen. Die Hand eines Menschen unterscheidet sich nur wenig von der eines Affen – etwa in der Bewegung des Daumens – aber das Nervensystem des Menschen erlaubt es ihm Muskeln und Knochen der Hand so zu benutzen, wie es ein Anthropoide (Menschenaffe) nicht kann: er kann nämlich nicht feine, gezielte, speziell menschliche Bewegungen ausführen wie z.B. schreiben, ein Musikinstrument spielen, Banknoten zählen, eine Uhr reparieren oder ein Mikroskop einstellen.
Zwei verschiedene Arten zu lernen
Es gibt zwei verschiedene Arten eine Hand zu benutzen, und diese werden auch durch zwei verschiedene Vorgänge erlernt. Gewöhnliche Handbewegungen erfolgen spontan und werden bei jedem normalen Tier beim Heranwachsen verfeinert, gleichgültig ob Affe oder Mensch. Die feinen, dem Menschen eigenen, gezielt ausgeführten Bewegungsarten müssen jedem menschlichen Wesen jedoch auf bestimmte Art und Weise und zu einer bestimmten Zeit vermittelt werden.
Diese besondere Art zu lernen (vielleicht die wichtigste Eigenschaft des menschlichen Nervensystems) zeigt sich nicht nur bei der Hand des Menschen, sondern betrifft alle Funktionen. Die aufrechte Haltung, sein Gang, seine Sprache – all dies ist erlernt und bedurfte einiger Jahre Lehrzeit und danach vieler weiterer Jahre bis zur Perfektion.
Die Fähigkeit mit der Stimme Laute zu äußern (was auch Tiere tun) wird mit dem Heranwachsen besser, sowohl beim Menschen als auch bei anderen Säugetieren, aber jemand, der außerhalb der menschlichen Gesellschaft heranwächst, wird vermutlich niemals das Gleiche können, wie ein durchschnittlich entwickelter Mensch. Der Instinkt des Tieres ist phylogenetisches Lernen bzw. das Lernen seiner Spezies; das lernen der Menschen ist ontogenetisch, d.h. durch persönliche Erfahrung bestimmt. Kurzum, Lernen bedeutet für das menschliche Nervensystem, was Instinkt für das Tier bedeutet.
Hunde lernen z.B. spontan alle `Hundesprachen`. Ein chinesischer Hund kann sowohl mit einem amerikanischen Hund, als auch mit einem persischen Hund kommunizieren.
Aber das Nervensystem des Menschen, das durch persönliche, individuelle Erfahrung auf eine Sprache programmiert, (sozusagen in Form einer elektrischen Leitung) auf eine Sprache ausgerichtet wurde, kann nur eine Sprache sprechen. Die restlichen 2000 oder mehr Sprachen bleiben für immer fremd, es sei denn, der Einzelne bemüht sich darum sie zu lernen.
Der Instinkt hat bestimmte Schattenseiten, wie auch menschliches Lernen. Der Instinkt ist nutzlos in plötzlich sich verändernden oder völlig neuartigen Situationen. Der Wert des Lernens besteht in der Wahl und in der Qualität dessen, was gelernt wird. Das Nervensystem des Menschen jedoch, in das die Verhaltensmuster während des Lernprozesses sozusagen eingraviert werden und die nicht vererbt sind (wie z.B. die Instinkte), hat einen großen Vorteil: Umlernen oder Umerziehen ist relativ einfach.
Bewegung
Der beste Weg das menschliche Nervensystem zu aktivieren ist die Bewegung
Zittern, Lähmungen, Ataxien, Sprachbehinderung und mangelhafte Muskelkontrolle weisen im Allgemeinen auf Verletzungen oder Funktionsstörungen des Hirnstamms oder anderer Teile des Nervensystems hin. Bewegung oder fehlende Bewegung zeigt den Zustand des Nervensystems an, seine ererbte Ausstattung und das Ausmaß seiner Entwicklung. Eine Bewegung findet dann statt, wenn das Nervensystem einen Impuls aussendet der den entsprechenden Muskel in richtigen Bewegungsmustern oder in der richtigen Reihenfolge kontraktiert und in der entsprechenden Zeitenfolge.
Kurz nach der Geburt verfügen wir nur über wenige willkürliche Bewegungen, außer dem Schreien und der Kontraktion der Beugemuskeln mit undifferenziertem Kraftaufwand.
Später lernen wir durch Erfahrung zu rollen, zu krabbeln, aufrecht zu sitzen, zu laufen, zu sprechen, zu rennen, zu springen, Balance zu halten, uns zu drehen oder was auch immer wir als Erwachsene zustande bringen.
Unser Bewusstsein passt sich langsam seiner Umgebung an. Die ersten Erfahrungen mit der Außenwelt finden mittels Hautkontakt und dem Mund statt. Später lernen wir unsere Körperteile unabhängig voneinander zu benutzen und sie mit Hilfe der Augen zu regulieren. Die größte Schwierigkeit dabei ist die Bewegungen zu differenzieren. Der vierte Finger bleibt z.B. ungeschickt, wenn wir nicht lernen ein Musikinstrument zu spielen oder besondere Anstrengungen zu unternehmen, ihn zu trainieren.
Im Allgemeinen gelingt es uns aber, die Alles-oder-Nichts-Reaktion einer primitiven Muskelkontraktion zu einer mehr oder weniger vollkommenen willentlichen Bewegungsabfolge zu entwickeln. Gewöhnlich erreichen wir dies während der Zeit unseres Lernens auf natürliche Weise, d.h. ohne uns des dazu notwendigen Prozesses, des Ausmaßes oder Grades an Vollkommenheit bewusst zu sein. Die meisten von uns gelangen zu einer unbekümmerten Mittelmäßigkeit. Gerade genug, um uns zu einem(r) von vielen zu machen.
Die Feldenkrais-Methode
Meine Methode eine bessere Reife unseres Nervensystems herbeizuführen bedient sich der reversiblen Beziehung unseres Muskel- und Nervensystems. Beide sind in Wechselwirkung zur Schwerkraft entstanden, die sowohl für Entwicklung und Lehrzeit jedes Individuums als auch für die Evolution der Spezies maßgebend ist.
Die außerordentliche Entwicklung der Frontallappen des menschlichen Gehirns bedeutet, dass deren Funktion eine evolutionäre Verbesserung darstellen und dem Überleben der Geeignetsten dienen. Diese Entwicklung des menschlichen Hirns kommt durch sein Wachstum nach der Geburt zur Entfaltung und wird daher durch persönliche, individuelle Erfahrung ausgerichtet und geformt.
Möglichkeiten und Gefahren
Als Resultat hat der Mensch beides: die außergewöhnliche Befähigung – über die kein anderes Tier verfügt – ein komplettes Muster von erlernten Reaktionen aufzubauen und die ganz besondere Verwundbarkeit, sich zu irren. Da Tiere ihre Reaktionen auf die meisten Stimuli in ihr Nervensystem in Form von Aktionsmustern des Instinkts eingepflanzt haben, irren sie sich weniger häufig.
Und was noch irritierender ist, wir haben nur eine geringe Chance zu erkennen an welcher Stelle wir uns geirrt haben. Da wir gleichzeitig lernen und urteilen, hängt unser Urteil von unseren Fortschritten ab und ist durch sie begrenzt.
Um uns also weiterzuentwickeln müssen wir offensichtlich unsere Urteilsfähigkeit verfeinern. Jedoch ist die Beurteilung das Resultat eines bereits beendeten Lernprozesses.
Zunahme der Sensibilität
Um diesen Teufelskreis zu unterbrechen, müssen wir die grundlegende Eigenschaft des supralimbischen Teils unseres Gehirns benutzen, das in der Lage ist zu fühlen und zu abstrahieren und sogar in Worten ausdrücken kann, was in unserem Körper vorgeht. Indem alle Stimuli auf ein Minimum reduziert werden, reduzieren wir ebenfalls jegliche Veränderungen in unserem Muskelsystem und unseren Sinnen auf ein Minimum. Dadurch erhöhen wir unsere Sensitivität auf ein Maximum und können daher differenzierte Details wahrnehmen, die unserer Aufmerksamkeit zuvor entgangen sind. Wir sind wie ein Farbenblinder dem die Fähigkeit zwischen Rot und Grün zu unterscheiden wiedergegeben würde.
Wenn das Unterscheidungsvermögen besser geworden ist, können die Einzelheiten des Selbst oder der Umgebung besser wahrgenommen werden; wir werden uns darüber bewusst, was wir tun und nicht darüber, was wir sagen oder denken, das wir tun.
Unterrichtung in der Feldenkrais-Methode
Anfangs finden die Sitzungen im Liegen, auf dem Rücken oder auf dem Bauch statt, um die Auflösung muskulärer Muster zu erleichtern. Der normalerweise vorhandene Druck auf die Fußsohlen und die daraus resultierende Konfiguration der Skelettgelenke wird so
aufgehoben. Das Nervensystem empfängt nicht die gewöhnlich infolge der Schwerkraft vorhandenen afferenten Stimuli und die efferenten Impulse sind nicht mit dem gewohnheitsmäßig vorhandenen Muster verbunden.
Nach der Sitzung, wenn die üblichen Stimuli wieder wahrgenommen werden, ist man überrascht eine veränderte Reaktion vorzufinden. Die Behandlungen werden so behutsam und so angenehm wie möglich durchgeführt, ohne Anstrengung und Schmerzen; das Hauptanliegen besteht nicht darin bereits bekannt Dinge einzuüben, sondern unbekannte Reaktionen zu entdecken und dadurch eine bessere, angemessenere Handlungsweise zu erlernen. Die Bewegungen sind leicht, so dass nach 15 oder 20 Wiederholungen die anfängliche Anstrengung auf praktisch nicht mehr als einen Gedanken reduziert wird. Dies bewirkt in der Person ein Maximum an Sensitivität und befähigt sie, geringfügige Veränderungen im efferenten Tonus und die veränderte Anordnung der verschiedenen Körperteile aufzuspüren.
Am Ende der Sitzung fühlt man, dass der Kopf ganz leicht mit dem Körper verbunden ist, dass die Füße nicht in den Boden stampfen, und dass der Körper gleitet, wenn er sich bewegt.
Der Kopf, der alle Teleceptoren trägt – Augen, Ohren, Nase und Mund – und der sich mit nahezu mit jeder Bewegung nach rechts und links bewegt, alle Veränderungen im umgebenden Raum wahrnehmend, sollte sich mit einer solchen Geschmeidigkeit bewegen, mit der sich auch der perfekteste, von Menschen erfundene Mechanismus nicht vergleichen kann. Von allen Teleceptoren bewegen sich auch die Augen nach rechts und links in Relation zum Kopf, und ihre Bewegung mit der Richtung des Kopfes oder in die Gegenrichtung sollte leicht und mühelos sein.
Ergebnisse
Den Körper zu unterrichten, alle möglichen Formen und Anordnungen der Glieder perfekter zu gestalten, verändert nicht nur die Kraft und Flexibilität des Skelettes und der Muskeln, sondern verursacht eine tief greifende Veränderung des Selbstbildes und der Qualität der Gerichtetheit des Selbst.
Zwei grundlegende Techniken
Die Feldenkrais-Methode umfasst zwei Techniken: die Einzelstunde und die Gruppenmethode.
Die Einzelstunde (Funktionale Integration) wird immer individuell gestaltet und auf die besonderen Bedürfnisse jeder einzelnen Person ausgerichtet. Ungefähr 30 verschiedenen Stellungen des Körpers werden angewandt.
Die Gruppenmethode (Bewusstsein durch Bewegung) wurde unter dem Aspekt entwickelt, die in der Einzelsitzung erzielte Wirkung eine möglichst großen Anzahl von
Menschen zuteil werden zu lassen. Das Wort Unterricht deutet an, dass die
Veränderungen des Selbstbildes von Lernenden selbst hervorgerufen werden, indem er sich über sein verändertes Körperbild bewusst wird.
Die Anwendung der Methode
Da alle Funktionen als Äußerungen des Nervensystems angesehen werden, kann die Feldenkrais-Methode in allen Bereichen Anwendung finden.
Ich habe weltbekannte Musiker, Geiger, Pianisten, so z.B. den bekannten Dirigenten Igor Markevitch, unterrichtet, der sich meiner Methode beim internationalen Orchesterkurs in Salzburg bediente. In den letzten Jahren habe ich regelmäßig für Peter Brook bei seinem internationalen Centre of Theater Research in Paris gearbeitet, wie auch in San Juan de la Baptista, wo er mit dem Teatro Campesino arbeitete, und bei der Brooklyn Academy of Music. Die Fakultät für Schauspiel der Carnegy-Mellon University of Pittsburgh, die New York University und viele andere haben meine Techniken angewandt. Ebenfalls habe ich mit chronischen Schmerzpatienten und Behinderten gearbeitet.